Klimaschutz: Sollten wir auf das Reisen verzichten?

Eine Frau mit traditional asiatischem Hut und rotem Rucksack steht mit dem Rücken in Richtung Kamera und schaut in die Ferne

Reisen und dem Klima schaden? Es gilt eine neue Balance beim Reisen zu finden.

Hannover. Wie wäre es einmal mit Bonn? Ja, richtig, es geht um Bonn. Als Ziel für eine Traumreise. Von wegen Langeweile, von wegen alte Bundesrepublik – der aus­tralische Verlag Lonely Planet, der alljährlich die wichtigste Reiseempfehlung ausspricht, hat für 2020 die Bundesstadt am Rhein in die Top Ten der schönsten Städteziele weltweit aufgenommen. Bonn landet auf Platz fünf – und ist damit die attraktivste deutsche Stadt. Bonn hat offenbar seinen eigenen Reiz – und darüber hinaus im nächsten Jahr viele Veranstaltungen zu Beethovens 250. Geburtstag zu bieten. "Wer durch die mittelalterliche Altstadt zum spitztürmigen Bonner Münster und dem stattlichen Hofgarten schlendert, bekommt eine leise Ahnung von der romantischen Atmosphäre, die Beethoven beflügelte", urteilen die Reiseprofis von Lonely Planet, die nicht zuletzt die immer weiter wachsende Backpackerszene bedienen. Bonn – das ist eben auch die Stadt der coolen Cafés, der spannenden Musikszene und der ganz besonderen Studentenkneipen. Dann eben mal Bonn. Oder Salzburg, in der weltweiten Hitliste für Städtereisen knapp vor Bonn gelistet.

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Die Schlei: Alternative zum Traumstrand auf den Malediven?

Beim Portal Reisereporter taucht unter den „Top Places 2020“ mit ganz vorn die Schlei auf – ein Ostseefjord in Norddeutschland als Alternative zum Traumstrand auf den Malediven? In Zeiten von Klimadebatte und Flugscham denken auch die Reiseprofis um: Warum nicht einmal Ziele empfehlen, die vor der Haustür liegen und die mit der Bahn bequem zu erreichen sind?

Das Gute liegt manchmal nah, Lonely Planet regt sein Publikum zum Nachdenken über das eigene Reiseverhalten an: Weniger Selfies, mehr Selbstlosigkeit lautet das neue Motto für ein Publikum, das es in den vergangen Jahren mit Reisen vielleicht auch etwas übertrieben hat. Heißt das nun aber, man sollte auf Fernreisen ganz verzichten?

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Flugscham: Schlechtes Gewissen wegen persönlicher Klimabilanz

Der Begriff "Flugscham", der aus dem Schwedischen stammt, hat schon im vergangenen Jahr eine rasante internationale Karriere erlebt. Er beschreibt wohl am besten das schlechte Gewissen, das den Reisenden befallen kann, wenn er über den Wolken seine persönliche Klimabilanz zerstört.

Aber Gefühle ändern nicht unbedingt das Handeln: Die deutschen Flughäfen waren in den Sommerferien so voll wie zuvor, Airports und Airlines verkünden neue Rekorde: Im ersten Halbjahr 2019 sind von deutschen Flughäfen so viele Passagiere gestartet wie nie zuvor in den ersten sechs Monaten eines Jahres. Fast 58,9 Millionen Passagiere sind im ersten Halbjahr dieses Jahres von den großen deutschen Flughäfen abgeflogen – 4,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Klimadebatte: Sollte das Reisen verteufelt werden?

Es ist an der Zeit, sich von kleinen Lebenslügen zu verabschieden und die Debatte über das Fliegen zu versachlichen. Nach Befragungen von Meinungsforschern fliegen ausgerechnet die Wähler der Grünen überdurchschnittlich viel. Und sie sind überdurchschnittlich weit mit dem Flugzeug unterwegs. Am Ende kollidieren in der Luft zwei unterschiedliche Interessen: der Wunsch, die Umwelt zu schonen – und der Wunsch, die Welt zu entdecken. Wer genau abwägt, der kann zu der Einschätzung kommen, dass man das eine nicht gegen das andere ausspielen sollte.

Die Klimadebatte sollte nicht dazu führen, das Reisen zu verteufeln. Die Welt ist zusammengewachsen, seit Flugtickets für viele bezahlbar sind. Die Möglichkeit, mit einem überschaubaren finanziellen Aufwand fremde Länder kennenzulernen, bedeutet einen der großen zivilisatorischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte. Wer will schon bestreiten, dass man die Welt besser versteht, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat? Wer sich schon einmal richtig fremd gefühlt hat, wird besser verstehen, wie es Fremden in Deutschland geht.

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Junge Leute, die nach dem Abitur in Deutschland erst einmal für ein paar Monate in fernen Regionen unterwegs waren, haben in dieser Zeit mehr für das Leben gelernt als in manchen Schuljahren zuvor. Die persönliche Erfahrung, die sie in Australien, Vietnam oder Südamerika machen, lässt sich nicht ersetzen durch Netflix-Serien, Insta­gram-Fotos oder schöne Bildbände. Und ein Onlinekursus wird kaum das Gastjahr an einer Highschool in den USA aufwiegen können.

Reisen kann Gegenmacht zur Abschottung der Mächtigen sein

Die "Generation Greta" wird auf Reisen zum einen mit eigenen Augen sehen, welche Folgen der Klimawandel in vielen Regionen der Welt inzwischen schon hat. Sie wird aber auch sehen, dass es außerhalb von Europa viele Länder gibt, die aktuell gravierendere Sorgen haben als das Klima. Wo die soziale Not so groß ist, dass es ums tägliche Überleben geht, rücken die Zukunftssorgen der Welt in den Hintergrund. Das Verständnis unter den Kulturen ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, weil sich viele Reisende – auch die älteren – in fremde Welten vorgewagt haben. In Zeiten, in denen Staatsführer wieder auf den Nationalstaat setzen und neue Grenzzäune errichten, ist der Austausch der Menschen wichtiger denn je.

Reisen kann eine Gegenmacht zur Abschottung der Mächtigen sein. Es lassen sich zwischen Ländern und Kontinenten vielleicht immer neue Zollschranken aufstellen – das Verständnis der Menschen füreinander muss darunter aber nicht leiden. Die Reiseprofis machen bei ihren Empfehlungen für das kommende Jahr denn auch eine Gratwanderung. Sie wissen, dass in den dunklen Novemberwochen, in denen die neuen Urlaubsprospekte gedruckt werden, auch mit jedem Tag das Fernweh wächst. Lonely Planet belässt es in seinen Empfehlungen daher nicht bei Bonn: Auf Platz eins der Reiseländer für 2020 steht Bhutan. Das buddhistische Königreich am Rand des Himalayas hat sich dazu verpflichtet, klimaneutral zu wirtschaften. Aber es liegt nun einmal 7000 Kilometer von Berlin entfernt. Am Flugzeug führt also kein Weg vorbei. Reisende werden den fernen Traumstaat kaum erreichen, ohne dem Klima zu schaden.

Reisen: Es geht nicht um das "ob", sondern um das "wie"

Dafür kommen sie dann auch in ein Land, das das Glück seiner Einwohner zum Staatsziel ernannt hat. Mit seiner Philosophie vom "Bruttonationalglück" will der König von Bhutan die Balance zwischen den spirituellen und den materiellen Werten gewährleisten. Kein schlechtes Ziel für Menschen aus Europa also, die auf der Suche nach einem Ziel sind, das einmal ganz neue Perspektiven bietet. Es geht beim Reisen nicht um das "ob", sondern um das "wie". Es muss nicht jedes Jahr ein Langstreckenflug sein. Und es muss nicht unbedingt ein fernes Ziel angesteuert werden, wenn es nur darum geht, zwei Wochen am Strand zu liegen. Es geht am Ende darum, eine neue Balance beim Reisen zu finden.

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Muss wirklich jeder Kurztrip per Billigflieger in Städte sein, die ohnehin schon unter Überfüllung leiden? Die Wochenendausflüge nach Barcelona oder Palma de Mallorca haben solch inflationäre Ausmaße angenommen, dass neben dem Klima auch die Menschen in den Städten leiden.

Wer neben dem Ziel auch das Klima im Blick hat, muss abwägen und Schwerpunkte setzen. Nächstes Jahr geht es vielleicht erst mal nach Bonn. Dann ist Bhutan für 2021 eine Option.

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