Klimawandel lässt neue Pilzarten wachsen: „Die größte Gefahr besteht in der Verwechslung“
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Sie sind der ersehnte Schatz vieler Pilzsammler: Steinpilze gelten als hervorragende Speisepilze.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB
Offenbach. Ob Steinpilz, Maronen-Röhrling, Pfifferling oder Parasol – im Herbst ist Pilzsaison. Seit der Corona-Pandemie ist das Interesse an den – oft schmackhaften – Lebewesen, die weder Tier noch Pflanze sind, enorm gestiegen. Für 2021 erwarteten Expertinnen und Experten ein besonders gutes Pilzjahr mit üppiger Ausbeute. Also Korb unter den Arm und ab in den Wald? Ganz so einfach ist es nicht. Wer Pilze sammeln will, sollte zumindest über ein Grundwissen verfügen. Sonst kann die Pilzwanderung bei Mensch und Umwelt Schaden anrichten. Wer etwas Zeit investiert, kann dafür vieles über die heimische Natur lernen. Dietmar Krüger von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) aus Offenbach erklärt, wie man sich Pilzwissen aneignet und wie der Klimawandel das Leben der Pilze verändert.
Herr Krüger, ist das Pilzjahr 2021 so gut wie erwartet?
Das lässt sich nicht so flächendeckend sagen. Im Moment ist die Situation regional sehr unterschiedlich. Hier in Hessen sah es Anfang Juni sehr gut aus. Wir hatten in diesem Jahr mehr Niederschläge als in den Vorjahren. Das hat dazu geführt, dass es über Wochen sehr viele Pilze gab. Jetzt, wo es kälter wird, ist die Situation relativ verhalten. Bei den Steinpilzen sieht es im Moment etwas mau aus. In Brandenburg und Teilen Niedersachsens gab es in den letzten Wochen dagegen eine regelrechte Pilzschwemme.
Wovon hängt es ab, ob viele Pilze wachsen oder nicht?
Von sehr vielen verschiedenen Faktoren, von denen einige gar nicht bekannt sind. Beispielsweise gab es in diesem Jahr unglaublich viele Pfifferlinge – warum, das kann sich keiner so richtig erklären. Vermutlich lag es an den ausgiebigen Niederschlägen, die in den letzten Jahren fehlten. Bei den Steinpilzen und anderen Röhrlingen gibt es die Vermutung, dass sie sich in den letzten Jahren, in denen es sehr trocken war, etwas verausgabt haben und es deshalb in diesem Jahr weniger gibt. Aber der Pilz, den wir sehen, ist ja nur der Fruchtkörper, ähnlich wie der Apfel am Baum. Das eigentliche Lebewesen befindet sich als Geflecht von unzähligen Fäden unter der Erde. Nur weil überirdisch kein Pilz zu sehen ist, bedeutet es also nicht, dass keine Pilze da sind. Grundsätzlich ist kühles und feuchtes Wetter für das Wachstum der Fruchtkörper am besten. Jetzt gerade ist also eigentlich sehr gutes Pilzwetter.
Sie haben angesprochen, dass die letzten Jahre sehr trocken waren. Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Pilze aus?
Einerseits führt die Klimaerwärmung dazu, dass sich neue Pilzarten hier vermehren. Die sogenannte Falsche Rotkappe zum Beispiel ist in diesem Jahr zum ersten Mal breitflächig in den Kiefernwäldern gefunden worden. Der Pilz zählt zu den Röhrlingen, ist essbar und stammt ursprünglich aus den USA. Zwar nicht genießbar, dafür aber sehr schön anzusehen, ist der Tintenfischpilz, der aus Tasmanien und Australien eingewandert ist. Ähnlich wie die Stinkmorchel entsteht er aus einem Hexenei und bildet einen knallroten Fruchtkörper aus, der aussieht wie ein Seestern oder ein Tintenfisch mit fünf Armen. Diese Art ist inzwischen großflächig in Europa verbreitet.
Gibt es auch Pilzarten, die durch den Klimawandel verschwinden?
Die Umweltverhältnisse können dem Pilzbestand jedenfalls schaden. Da es schon lange keinen richtig kalten Winter mehr gab, haben sich Schnecken stark vermehrt, die die Pilze abfressen. Hinzu kommt, dass viele Pilze in Symbiose mit Bäumen leben, sie tauschen mit ihnen Wasser gegen Zucker aus. Im Harz etwa, einem riesigen Fichtenforst, sind großflächig Bäume abgestorben. Wenn die Partnerbäume wegsterben, können die Pilze keine Fruchtkörper mehr ausbilden, weil sie vom Baum nicht mehr die dafür benötigten Kohlenhydrate geliefert bekommen.
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Aber nicht nur der Klimawandel, auch andere menschengemachte Umstände schaden den Pilzen. Fällarbeiten mit Harvestern (spezielle Holzernte-Maschinen, Anm. d. Red.) haben zum Beispiel katastrophale Folgen für den Waldboden, weil sie diesen mit ihrem Gewicht verdichten, die Erde aufreißen und verunreinigen. Ein anderes Problem ist, dass in der Landwirtschaft viele Fungizide zum Einsatz kommen. Auch die Überdüngung durch Gülle oder den Kerosinablass in der Nähe von Flughäfen schadet den Pilzen. Der Wiesenchampignon zum Beispiel ist flächenweise ausgestorben, weil wir zu viele Nährstoffe in den Boden einbringen.
Inwiefern können diese Veränderungen für Menschen gefährlich werden?
Ich sehe die größte Gefahr darin, dass im Wald neue Arten auftauchen, die wir verwechseln können. Nehmen wir das Beispiel den Wiesenchampignons: Er verschwindet, weil er den überdüngten Boden nicht mag. Es gibt aber auch – teils giftige – Champignonarten, die mit diesen Nährstoffen sehr gut zurechtkommen und dann dort wachsen, wo früher die Wiesenchampignons standen.
Ein anderes Beispiel ist der Ockerbraune Trichterling, ein heimischer Speisepilz. Seit Kurzem breitet sich jetzt aber auch der Parfümierte Trichterling, der aus südlichen Ländern stammt, in Europa aus. Er sieht ähnlich aus wie der Ockerbraune Trichterling, riecht aber anders und ist sehr giftig. Die Vergiftung erzeugt starke, stechende Schmerzen und kann sogar tödlich sein. Aus Sicherheitsgründen bringe ich meinen Pilzschülern deshalb bei, Trichterlinge lieber stehen zu lassen – unter diesen gibt es sowieso kaum Speisepilze.
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Dietmar Krüger ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und arbeitet seit 2010 als Pilzberater.
© Quelle: DGfM
Die Nachfrage nach Pilzkursen und geführten Pilzwanderungen ist derzeit sehr hoch.
Ja, die Pandemie hat generell das Interesse an der Natur stark gesteigert. Kurzfristig sind so gut wie keine Ausbildungsangebote verfügbar, unsere Pilzseminare sind auf Monate hin ausgebucht.
Was raten sie Menschen, die mit dem Pilzesammeln anfangen wollen?
Auf jeden Fall, nicht einfach einen Korb zu nehmen, im Wald rumzulatschen und alles abzureißen. Wer Pilze sammeln will, sollte sich auskennen und zumindest ein Grundwissen haben. Bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie kann man lokale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner finden. Einige Sachverständige bieten zwar Korbkontrollen an, aber auch hier ist die Nachfrage sehr hoch. Aus meiner Sicht ist es zudem keine gute Lösung, weil man im Wald nicht einfach irgendwelche Pilze absammeln sollte, die dann womöglich gar nicht essbar sind. Außerdem gibt es Regeln, welche Mengen von welchen Pilzen gesammelt werden dürfen. Auch die sollte man ansatzweise kennen.
Ich plädiere deshalb für eine Art Pilzführerschein. Denn auch in der Schule wird ja kein Pilzwissen unterrichtet. Man kann damit beginnen, sich ein oder zwei Bücher zum Thema zuzulegen und dann Schritt für Schritt erlernen, wie man Pilze bestimmt. Auch, wenn man dafür wieder die Schulbank drücken muss – ohne Theorie ist das schwer. Dafür gibt es die Pilzschulen.