Maßarbeit fürs Antlitz: Das Pariser Unternehmen Maison Bonnet entwirft Brillen nach dem Gesicht des Kunden
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Gezeichnet, geformt, geschliffen: Auf drei Etagen arbeitet man im Maison Bonnet in Paris an der Brillenherstellung per Hand. Das kostet Zeit und hat seinen Preis.
© Quelle: Michael Photography/Maison Bonnet
Paris. Eine Brille – so individuell wie das eigene Gesicht: Das Pariser Unternehmen Maison Bonnet fertigt nach Maß. Die Handarbeit aus Schildpatt, Horn oder Acetat ist nichts für Hektiker. Bis zu neun Monate beträgt die Wartezeit für ein edles Unikat.
Mit entspannter Eleganz lehnt Frankreichs einstiger Präsident auf einem Sessel – die langen Beine von sich gestreckt, ein angedeutetes Lächeln auf den Lippen und eine markante, dunkle Brille auf der Nase. Beim französischen Brillenmacher Maison Bonnet ist man nicht speziell politisch engagiert. Wenn das großflächige Porträtfoto von Jacques Chirac in Schwarz-Weiß an prominenter Stelle in einem Treppenaufgang des Pariser Geschäftes hängt, dann liegt das an dieser Brille, die Chirac einen intellektuellen Touch verleiht. Maison Bonnet hat sie speziell für den Politiker gestaltet, für seine lange, schmale Nase, das ovale Gesicht mit der hohen Stirn.
Wer in den Laden spaziert und „eine Brille wie die von Chirac“ bestellen möchte, wird daher enttäuscht: Damit die Maßanfertigung genauso perfekt sitzen würde, müsste der Kunde schon aussehen wie der inzwischen verstorbene Ex-Präsident. „Wenn jemand die Brille von Jackie Kennedy oder Yves Saint Laurent haben will, versuchen wir, die Person davon zu überzeugen, dass sie sich um die Chance bringt, sich ihr eigenes, einzigartiges Modell gestalten zu lassen“, sagt Franck Bonnet.
Jedes Einzelstück ist so besonders wie ein Gesicht
Er ist der älteste der drei Söhne von Christian Bonnet, der das Geschäft 1950 gegründet hat. Jedes Einzelstück sei so besonders wie ein Gesicht. Ob es sich um ein berühmtes Gesicht handele, das sei zweitrangig. Gemeinsam mit seinen Brüdern führt der energiegeladene 50-Jährige das Familienunternehmen, während seine Eltern weiterhin in einer Werkstatt im Burgund arbeiten.
Die Familientradition geht auf Christians Vater Alfred Bonnet zurück, der seit 1930 von Hand Brillen aus Schildpatt für die Häuser Achard und Boidot herstellte. Christian Bonnet übernahm die Techniken vom Vater und konzentrierte sich ebenfalls ganz auf Maßbrillen aus Schildpatt. Gewonnen wird dieses aus dem Rückenschild von drei Arten von Meeresschildkröten, doch seit 1973 verbietet das Washingtoner Artenschutzabkommen den Handel damit.
Sondergenehmigung für das Unternehmen
Christian Bonnet hat eine Ausnahmegenehmigung, mit dem Material der vom Aussterben bedrohten Tiere zu arbeiten – allerdings nur mit seinen alten Beständen. „Wir haben noch Vorrat, und übrigens fördern wir auch Programme zum Schutz dieser Tiere in der ganzen Welt“, sagt Franck Bonnet. Trotzdem führte seine Generation Horn und Acetat als weitere, etwas preiswertere Materialien ein. Acetat ist widerstandsfähig und in diversen Farben erhältlich, während es Horn nur in Schwarz-, Grau- und Brauntönen gibt.
Die Maßarbeit hat ihren Preis
Die günstigsten Modelle aus Acetat werden ab 700 Euro verkauft, und dann kann es preislich weit hinauf gehen, sagt Franck Bonnet. „Manchmal nennen Kunden einen Preis und verlieben sich dann in ein Modell, das doppelt so teuer ist: Sie finden sich sexy damit, es passt, man trägt es 15 Stunden am Tag – das ist es einem dann wert.“ Manche Kunden werden zu Sammlern. „Sie tragen ein anderes Modell beim Spiel mit ihrem Kind im Park als bei einem Geschäftstreffen oder abends im Theater.“
Die Brille – übrigens auch die Sonnenbrille – sei ein Modeartikel, ein Ausdruck von Stil und im besten Fall von Eleganz. 40 Prozent der Kunden von Maison Bonnet kommen (abgesehen von Pandemiezeiten) aus dem Ausland, reisen oft zu Anlässen wie der Fashion-Week oder der Designmesse nach Paris. Viele Architekten, Fotografen oder auch Köche sind darunter: „Menschen, denen schöne Objekte wichtig sind, die vielleicht wenige davon haben, aber dann maßgeschneiderte“, so Franck Bonnet.
Er hatte 2009 die Idee für das Geschäft in Paris, das sich etwas versteckt im Hof des Palais Royal mit seinem prachtvollen Garten befindet. Franck Bonnet verschafft der Marke dadurch eine bessere Sichtbarkeit. Da eine Passage durch die zum Geschäft gehörenden Räume verläuft, können Passanten einem Handwerker dabei zusehen, wie er Brillen anfertigt. Auf drei Ebenen befinden sich die Werkstätten, Verkaufs- und Anpassungsräume.
Zwölf verschiedene Maße werden pro Brillengestell genommen
Bei einem ersten Termin im Showroom entscheidet sich die Kundin oder der Kunde anhand etlicher Probiermodelle für Form, Material und Farbe ihrer oder seiner Brille. Zwölf verschiedene Maße werden genommen, vom Abstand der Schläfen über die Größe des Kopfes bis zur Länge der Wimpern. Auch die Sehstärke für die Gläser wird gemessen. Per Hand werden erst die Zeichnung und dann die Brille angefertigt, anschließend folgt der letzte Schritt, den Franck Bonnet das Fitting nennt, das Anpassen: „Bei uns wird nichts mit DHL verschickt. Sie müssen schon persönlich vorbeikommen“, sagt er.
Wer eine Brille des Familienunternehmens möchte, sollte es nicht eilig haben. Zwei bis neun Monate Wartezeit muss man einkalkulieren, nicht nur, weil die natürlichen Materialien sich erst stabilisieren müssen, sondern auch, weil die Auftragsbücher voll sind – trotz des verlangsamten Geschäfts während der Pandemie.
Stolz ist man auf mehrere Auszeichnungen für Christian Bonnet, darunter die höchste Ehrung in Frankreich: 2008 wurde er Ritter der Ehrenlegion. Für die Weitergabe des seltenen Handwerks erhielt er die Auszeichnung Meister der Kunst (Maître d’Art). Knapp 20 Personen arbeiten heute für das Unternehmen, die meist von Designschulen kommen, aber nochmals eigens vor Ort ausgebildet werden. Für das Metier des Brillenherstellers und der -herstellerin gibt es keine eigene Schule.
Ein eigenes, personalisiertes Stück – der wahre Luxus
Der Erfolg seines Geschäfts passt in die heutige Zeit, sagt Franck Bonnet: Ein eigenes, personalisiertes Stück zu besitzen, zeitlos und modern zugleich, sei der wahre Luxus. Und doch gibt es inzwischen die Möglichkeit, eines der schon fertigen Modelle aus den Schubläden nur noch anpassen zu lassen. Es ist ein Kompromiss für Eilige oder jene, die etwas weniger ausgeben wollen. Eine Art Prêt-à-porter der Brillen – gegenüber der Haute Couture, einer Brille nach Maß.
RND