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Medizin-Nobelpreis: Biontechs Zeit war noch nicht reif

Uğur Şahin (rechts) und Özlem Türeci, hier bei einer Ehrung im Kölner Rathaus, konnten den Medizin-Nobelpreis in diesem Jahr nicht gewinnen.

Uğur Şahin (rechts) und Özlem Türeci, hier bei einer Ehrung im Kölner Rathaus, konnten den Medizin-Nobelpreis in diesem Jahr nicht gewinnen.

Stockholm. Das Karolinska-Institut hat das Rätsel um den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie gelüftet: In diesem Jahr erhalten die mit knapp einer Millionen Euro dotierte Auszeichnung David Julius und Ardem Patapoutian, wie die Universität am Montag in Stockholm bekannt gab. Die beiden Molekularbiologen haben im menschlichen Körper Rezeptoren entdeckt, die es ermöglichen, Temperaturen und Berührungen zu fühlen.

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Zu den hoch gehandelten Anwärtern des Medizin-Nobelpreises zählten Julius und Pataputian sicherlich nicht. Nur wenige Menschen außerhalb der Fachwelt dürften über ihre wissenschaftlichen Errungenschaften im Bilde sein – was nicht bedeutet, dass diese unbedeutend sind. Im Gegenteil: Das Wissen über die Rezeptoren kann bei der Entwicklung von Therapien gegen eine Reihe von Krankheiten, etwa chronischer Schmerzen, helfen. Die Auszeichnung ist also verdient; doch es gab andere Favoriten.

Corona-Impfstoffentwickler gehen leer aus – trotz Favoritenstellung

Als preisverdächtig galten vor allem die Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci sowie Biochemikerin Katalin Karikó. Ihnen ist es gelungen, innerhalb kürzester Zeit den weltweit ersten mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln. Karikó, die inzwischen als Vizepräsidentin bei Biontech tätig ist, hatte mit ihrer Forschung zur RNA-vermittelten Immunaktivierung den Grundstein für den Wirkstoff gelegt. Seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 ist er millionenfach verwendet worden, um Menschen vor schweren Infektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus zu schützen. Allein in Deutschland wurde der Wirkstoff namens Comirnaty für knapp 40 Millionen Erstimpfungen und 42 Millionen Zweitimpfungen verwendet.

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Damit hätten die drei Forschenden den letzten Willen von Alfred Nobel, dem Namensgeber der Auszeichnung, eigentlich am besten erfüllt. Der Dynamiterfinder hatte damals in seinem Testament festgelegt, die Nobelpreise an diejenigen zu überreichen, „die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben“. Dementsprechend eifrige Spekulationen gab es um die Impfstoffentwickler als mögliche Nobelpreisträger.

mRNA-Technologie ist noch junges Forschungsfeld

Dass das Nobelpreiskomitee trotz alledem eine andere Entscheidung getroffen hat, ist im Nachhinein jedoch keine wirkliche Überraschung. Das mRNA-Verfahren, auf dem der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer beruht, hat seinen Nutzen im Zuge der Pandemie zwar unter Beweis stellen können, allerdings ist es noch recht jung.

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Ob ein wissenschaftlicher Durchbruch tatsächlich einen großen Nutzen für die Menschheit hat, lässt sich meist erst nach mehreren Jahren beurteilen. Die Preisträger des vergangenen Jahres, Harvey J. Alter, Michael Houghton und Charles M. Rice, identifizierten das Hepatitis-C-Virus bereits im Jahr 1989. Erst rund 30 Jahre später erhielten sie für diese Entdeckung den Nobelpreis. Auch Molekularbiologe David Julius, der in diesem Jahr ausgezeichnet wurde, hatte bereits in den 1990er-Jahren damit begonnen, zu Rezeptoren zu forschen.

Forschende haben noch Chancen auf Chemienobelpreis

Die mRNA-basierte Impfstofftechnologie ist zwar zur gleichen Zeit ins Zentrum der Forschung gerückt, jedoch erst seit knapp einem Jahr tatsächlich im Einsatz. Es gibt deshalb noch einige Unsicherheiten. Zum Beispiel ist noch nicht abschließend geklärt, ob Spätfolgen nach den Impfungen mit dem Corona-Vakzin auftreten können. Expertinnen und Experten halten diese für recht unwahrscheinlich, aber es mangelt bis dato an aussagekräftigen Daten. Diese Ungewissheit dürfte auch den Entschluss des Nobelpreiskomitees beeinflusst haben.

Die Initiative „The People‘s Vaccine“ kritisiert zudem Biontechs Umgang mit den Patentrechten. Sie fordert die Firma auf, ihr Impfstoffrezept mit der Weltgesundheitsorganisation zu teilen. So könnten Produzenten weltweit den Impfstoff herstellen, um ihn dann in ärmeren Ländern einzusetzen. Diese profitieren bislang noch zu wenig von dem Wirkstoff.

Vielleicht erhalten die Biontech-Forscher eine Auszeichnung aus Stockholm noch in dieser Woche. Sie gelten auch als Favoriten für den Chemie-Nobelpreis. Möglicherweise dürfte sich aber erst in den kommenden Jahren zeigen, welche Chancen sie auf einen Medizin-Nobelpreis haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie eines Tages mit einer goldenen Medaille geehrt werden, ist in jedem Fall groß. Denn die mRNA-basierte Impfstofftechnologie, die Şahin, Türeci und Karikó revolutioniert haben, ist zweifelsfrei ein wissenschaftlicher Durchbruch – mit großem Zukunftspotenzial.

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