„Mosaic“-Expedition: Eis der Arktis ging 2020 schneller zurück als je zuvor

Im Oktober 2020 ist das Forschungsschiff „Polarstern" nach einem Jahr in der Arktis in seinen Heimathafen Bremerhaven zurückgekehrt.

Im Oktober 2020 ist das Forschungsschiff „Polarstern" nach einem Jahr in der Arktis in seinen Heimathafen Bremerhaven zurückgekehrt.

Bremerhaven. Mit mehr als 150 Terabyte wissenschaftlicher Daten und mehreren 10.000 Proben von Schnee, Eis, Wasser und Atmosphärenbestandteilen sind Markus Rex und sein Team aus der Arktis zurückgekehrt. Ein Jahr lang sind sie mit dem Forschungsschiff „Polarstern“ des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts durch das Nordpolarmeer gedriftet, angedockt an eine riesige Eisscholle. Ihr Ziel: neue Erkenntnisse zum Klimawandel und zu seinen Auswirkungen auf das arktische Ökosystem sammeln. Insgesamt 300 Forscherinnen und Forscher aus 80 Instituten in 20 Ländern waren an dem Projekt namens „Mosaic“ beteiligt, das im September 2019 gestartet ist.

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„Wir haben die Arktis kennengelernt wie nie zuvor“, sagte Rex, der die „Mosaic“-Expedition geleitet hat. „Wir haben ihren Herzschlag verfolgt, wir haben unsere Scholle durch alle Phasen ihres Lebens begleitet. Damit haben wir neues Wissen über die Arktis in einem bisher nie dagewesenen Umfang gesammelt.“ Im nächsten Schritt geht es nun darum, die gesammelten Daten auszuwerten, was mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnte. 300 einzelne wissenschaftliche Projekte würden derzeit laufen, so Rex. Erste Zwischenergebnisse der Arktismission hat der Expeditionsleiter am Dienstag in Berlin präsentiert.

Eisschichten werden zunehmend dünner

Während ihrer einjährigen Expedition stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass das Eis deutlich dünner geworden ist: Es sei „kaum noch mehr halb so dick“ wie zu Zeiten Fridtjof Nansens, der zwischen 1893 und 1896 mit einem Holzsegelschiff das Nordpolarmeer erkundete. Zudem beobachteten sie in den Wintermonaten ein „ganz ungewöhnliches Windmuster“ mit einem arktischen Westwindjet in der Atmosphäre der Nordhalbkugel. Dieser Jetstream sei der stärkste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1950 gewesen, berichtete Rex.

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Die Kombination aus diesen Windströmen und einer dünner werdenden Eisschicht hat letztlich dafür gesorgt, dass die Forscherinnen und Forscher schneller als erwartet durch die Arktis gedriftet sind. Und: „Es hat die Verteilung und die Eigenschaften des Eises für das gesamte nachfolgende Jahr verändert“, erklärte der Atmosphärenphysiker vom Alfred-Wegener-Institut. „Denn das Eis hat ein beträchtliches Gedächtnis, es merkt sich, was ihm widerfahren ist während seiner Lebenszeit.“

Die winterlichen Bedingungen hätten auch dazu geführt, dass sich das Eis schneller zurückgezogen hat als je zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Dadurch ist das Nordpolarmeer früher eisfrei gewesen, es konnte sich insgesamt länger erwärmen. Folglich hat sich die Eisdecke im Herbst viel später geschlossen.

Atmosphärenphysiker warnt vor folgenschweren Kipppunkten

Rex wies darauf hin, dass es in einem Klimasystem unterschiedliche Kipppunkte gebe, die durch die Erderwärmung ausgelöst werden und zu irreversiblen, plötzlichen Veränderungen führen könnten. „Wir haben gesehen, das Auslösen des Kipppunktes, der zum Verschwinden des sommerlichen Meereises in der Arktis führt, steht unmittelbar bevor“, sagte er. „Und dieser Kipppunkt ist nur einer der ersten, die bei zunehmender Erderwärmung überschritten werden.“ Eine Erwärmung der globalen Mitteltemperatur um 1,5 Grad Celsius könnte weitere schwerwiegende Folgen haben.

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„Wir wissen, dass jenseits der 1,5-Grad-Erwärmung ein Minenfeld solcher Kipppunkte liegt, aber wir wissen nicht genau, wo die Minen liegen“, machte Rex deutlich. „Ab 1,5 Grad Celsius laufen wir in dieses Minenfeld hinein. Das Verschwinden des sommerlichen Meereises in der Arktis ist eine der ersten Tretminen in diesem Minenfeld, einer der Kipppunkte, die wir als Erstes auslösen werden, wenn wir die Erwärmung zu weit treiben.“

Rex: Treibhausgasemissionen „drastisch und schnell“ senken

Auch eine zweite Tretmine konnten die Forscherinnen und Forscher der „Mosaic“-Expedition bereits identifizieren. Im Frühjahr vergangenen Jahres haben sie den stärksten Ozonabbau in der arktischen Stratosphäre gemessen, der jemals zuvor aufgetreten ist. In 20 Kilometern Höhe sei das Gas im April vergangenen Jahres stellenweise fast gar nicht mehr nachweisbar gewesen. Die Dicke der Ozonschicht über der Arktis habe sich teilweise halbiert, so Rex. Verringert sich die Ozonschicht, erhöht sich die UV-Strahlung, was Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und das Klima hat. Details zum dokumentierten Ozonabbau wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bald im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlichen.

Um zu verhindern, dass sich die Erde weiter erwärmt und damit weitere Kipppunkte ausgelöst werden, forderte Rex, die Emissionen von Treibhausgasen „drastisch und schnell“ zu reduzieren. „Die aktuellen Klimaschutzziele der Bundesregierung sind angemessen und gut“, sagte der Atmosphärenphysiker. „Jetzt kommt es aber darauf an, dass wir auch die gesellschaftlichen Mehrheiten bekommen für die konkreten Maßnahmen, wie wir diese auch erreichen können. Denn im Moment sind wir nicht auf einem Pfad unterwegs, der uns zum Erreichen dieser Klimaschutzziele führt.“

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