Öko-Trauer: Wenn der Klimawandel die Psyche belastet
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Zerstörungen, wie nach Hurrikan Katrina im Jahr 2005 haben Konsequenzen für die Psyche.
© Quelle: Getty Images
Hannover. Der Regenwald brennt, in der Antarktis schmilzt das "ewige Eis" und Experten prognostizieren - wenn es so weiter geht wie bisher - eine düstere Zukunft. Der Klimawandel ist real und seine negativen Folgen werden mehr und mehr spürbar. Doch nicht nur die Erde leidet, die Menschen tun es ihr gleich. Denn der Klimawandel hat nicht nur Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit - auch für die Seele kann er belastend sein.
Angesichts einer Zukunft, die vom Klimawandel geprägt sein wird, schleicht sich bei manchen Menschen ein unangenehmes, dumpfes Gefühl ein. Es lässt sie machtlos, hilflos und ohnmächtig zurück. Sie werden sentimental, fühlen sich, als würden sie den Boden unter den Füßen verlieren. Sich so zu fühlen ist aber keine Form der Schwäche oder etwa eine Überempfindlichkeit. Im Gegenteil: Auch die Wissenschaft nimmt das Phänomen ernst und erforscht es mittlerweile. Einen Begriff gibt es dafür inzwischen auch: ökologische Trauer.
Bedrückende Zukunft belastet Menschen
„Unter ökologischer Trauer versteht man eine tiefe Traurigkeit, die Menschen als Reaktion auf den Verlust ihrer Heimat oder des vertrauten Ökosystems empfinden“, erklärt Dieter Lehmkuhl. Der Psychiater und Psychotherapeut ist Vorstandsmitglied der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Auch in Deutschland sind die Folgen des Klimawandels mittlerweile angekommen: "Wir spüren inzwischen, dass der Klimawandel auch in unserem Leben real wird. Extremhitze, Starkregen, Dürren, Ernteausfällen, Waldbränden und Waldschäden sind die Folgen", erklärt Lehmkuhl.
Angesichts dieser düsteren Aussichten findet es der Psychiater nachvollziehbar, dass vor allem sensible Menschen emotional reagieren. "Empfindsame Menschen können die Entwicklung vorwegnehmen und auf die Frage 'Was kommt auf uns zu?' reagieren sie dann etwa mit Trauer."
Identitätsverlust und Depressionen als Folge
Diese ökologische Trauer werde besonders bei indigenen Völkern, denen ein großes Umweltbewusstsein nachgesagt wird, beobachtet, sagt Lehmkuhl. „Die kulturelle und traditionelle Lebensweise indigener Völker ist ihre Identität und stark abhängig von ihrer Beziehung zur Umwelt. Wenn das nun plötzlich wegbricht, weil das Eis zum Beispiel schmilzt, löst das diese tiefe Traurigkeit aus.“ Doch nicht nur indigene Völker leiden unter dem Verlust ihrer vertrauten Umgebung.
Naturkatastrophen, beispielsweise Hurrikans oder Überflutungen können große Zerstörung anrichten. "Dadurch bricht die Infrastruktur zusammen, Menschen verlieren ihre Heimat und ihre Angehörigen, sie werden vertrieben. Das alles ist natürlich psychischer Stress", sagt Lehmkuhl. Diese Verlusterfahrungen führten dann zu Ängsten, Depressionen und zu posttraumatischen Belastungsstörungen.
US-Bericht: Klimawandel führt zu Stress
Wie belastend eine solche Erfahrung ist, zeigen auch Studien. Die US-Organisation American Psychological Association veröffentlichte 2017 einen Bericht, der die psychischen Auswirkungen des Klimawandels darstellt. Als Beispiel werden darin unter anderem die Auswirkungen von Hurrikan Katrina im Jahr 2005 aufgeführt: Forscher hatten herausgefunden, dass sich bei von der Naturkatastrophe betroffenen Menschen Suizid und Suizidgedanken mehr als verdoppelten, 49 Prozent empfanden auch im Nachhinein noch Angst oder entwickelten Stimmungsstörungen wie Depressionen. Ähnlich fielen Befunde aus Großbritannien aus, wo Überschwemmungen zwischen Ende 2013 und Anfang 2014 große Schäden anrichteten und Tausende Häuser zerstörten.
Dabei ist die direkte Betroffenheit nicht unbedingt ausschlaggebend: "Die Sorge um die tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen des Klimawandels kann zu Stress führen, der sich im Laufe der Zeit aufbaut und schließlich zu stressbedingten Problemen wie Drogenmissbrauch führen kann", schrieben die Experten. Veränderungen des Klimas führten demnach zu negativen Auswirkungen auf den unterschiedlichsten Ebenen - eine unterschätzte Kettenreaktion.
Widerstandsfähiger gegenüber psychischen Erkrankungen seien die Menschen, die sich mit einem stabilen Netzwerk, Freunden, Familie und Gleichgesinnten umgeben, heißt es in dem Bericht. Sozialer Beistand wird in Krisenzeiten wichtiger denn je.
In Deutschland geht Forschung voran
Während sich US-Forscher schon länger mit den negativen Folgen des Klimawandels für die mentale Gesundheit beschäftigen, ist das Feld in Deutschland noch relativ neu. Doch das ändert sich gerade: "Es kommt langsam Dynamik auf. Der nächste deutschen Ärztetag befasst sich mit dem Thema Klimawandel und Gesundheit als einem Schwerpunktthema und verschiedene Ärzteverbände haben sich jetzt eindeutig zum Klimawandel als Bedrohung für die Gesundheit positioniert", sagt Lehmkuhl. "Sie sehen im Klimaschutz eine zentrale ärztliche Aufgabe." An der Charité Berlin wurde unterdessen die deutschlandweit erste Professur für Klimawandel und Gesundheit eingerichtet.
Trauer ist nicht nur negativ
Für Lehmkuhl ist die ökologische Trauer jedoch nicht nur negativ - im Gegenteil, sie könne sogar produktiv sein. "Trauer gehört dazu, sie zuzulassen und nicht zu verdrängen ist wichtig, denn nur so kommt man eher in den Modus 'Es muss etwas passieren'." Erst erschrecken und dann handeln, lautet die Devise.
Im besten Fall entsteht daraus dann eine kollektive Energie. Denn laut Lehmkuhl sind Veränderungen ansteckend: "Wenn wir unser Verhalten ändern, dann wirkt sich das auch auf die anderen aus." An der "Greta-Generation" können man sehen, dass dieser Prozess schon in Gang gekommen ist. "Viele, vor allem junge Menschen, ernähren sich inzwischen vegan oder vegetarisch. Auch das Auto dient immer weniger als Statussymbol und der Begriff "Flugscham" verweist auf das Entstehen einer neuen sozialen Norm."
Erde und Gesundheit könnten gleichermaßen profitieren
In diesen Veränderungen sieht Lehmkuhl Hoffnung für die gesamte Gesellschaft. Denn umweltfreundliche Maßnahmen, wie etwa das Auto stehen zu lassen und Fahrrad zu fahren, tun nicht nur der Erde gut: "Gesundheit braucht Klimaschutz. Wenn wir also wieder mehr an der frischen Luft sind und uns mehr aktiv bewegen, die Luftverschmutzung abnimmt und wir auf eine fleischlose und vollwertige Diät setzen, hat das erhebliche gesundheitliche Vorteile für uns."
Laut Lehmkuhl ist es für einen Wandel noch nicht zu spät, im Gegenteil, auch Hoffnung kann die Menschen in ihrem Handeln bestärken. Wenn auch im ersten Moment beängstigend, kann der Klimawandel so einen Erwartungshorizont aufzeigen, der zu Veränderungen bewegt. "Der Mensch kann ohne Hoffnung nicht leben", sagt Lehmkuhl.
Alice Mecke/RND