Russlands hat ein lebensgefährliches Suff-Problem
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/RRBFBJKV5UNVR7XPNL57BDJUTM.jpg)
Seit Langem schon konsumieren Russen alkoholische Ersatzstoffe – das muss nicht immer schmecken.
© Quelle: Imago
Hannover. Silvester, für Russen das Fest der Feste, ist gefeiert – und wie man die Nacht zum neuen Jahr verbracht hat, so wird es dem Menschen einem Aberglauben des Landes zufolge auch die folgenden zwölf Monate ergehen. Wodka, getrunken aus großen Gläsern in 100-Milliliter-Rationen, der „Stopka“, gehört traditionell zur Feier in der Neujahrsnacht. Und dort beginnt für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Russen auch das Problem: Der Wodkakonsum hält das ganze Jahr hindurch an.
Statistisch gesehen trinkt jeder Russe fast 16 Liter reinen Alkohol im Jahr – einer der höchsten Werte weltweit. Experten gehen allerdings davon aus, dass es bis zu 19 Liter sind. Jeder fünfte Todesfall unter Männern ist auf Alkoholismus zurückzuführen. Russische Männer haben im Durchschnitt nur eine Lebenserwartung von noch nicht einmal 60 Jahren; ein Deutscher hingegen kann mit dem 75. Geburtstag planen. Und: Eine Vielzahl der Straftaten im größten Land der Erde wird im Suff begangen; 83 Prozent der Mörder etwa sind zur Tatzeit betrunken. „Bier ohne Wodka“, witzeln russische Männer gern, „ist rausgeschmissenes Geld.“
Putin bekämpft übermäßigen Alkoholkonsum
Staatspräsident Wladimir Putin, der Kefir als sein Lieblingsgetränk nennt, versucht daher den übermäßigen Alkoholkonsum einzudämmen. Die Steuern auf das Destillat wurden drastisch erhöht; die Halbliterflasche Wodka kostet mittlerweile fast 5 Euro. Werbung in den Medien wurde untersagt; auch der Bierabsatz wurde strenger reguliert. Doch wer trinken will, der sucht sich Wege. Im sibirischen Irkutsk fand unlängst ein Badezusatz mit 90-prozentigem Alkoholgehalt reißenden Absatz, der für lediglich 40 Cent die Flasche angeboten wurde. Er enthielt allerdings das hochgiftige Methanol. Mehr als 70 Menschen starben in der südsibirischen Stadt. „Man müsste den Absatz mit einem derartigen Getränkeersatz einfach verbieten“, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew hilflos.
Seit Langem konsumieren Russen alkoholhaltige Ersatzstoffe, wie Rasierwasser, oder brennen selbst Schnaps. Die Zahl der Vergiftungen durch Ersatzmittel sinke kaum, die Zahl der Methanolvergiftungen steige sogar, räumte Anna Popowa ein, Chefin der Verbraucherschutzbehörde. Irkutsk ist daher kein Einzelfall, fast 15.000 Menschen sterben jährlich durch den Konsum alkoholhaltiger Flüssigkeiten, die eigentlich nicht zum Trinken bestimmt sind.
Illegale Produktion verschärft das Problem
Etwa 1,3 Milliarden Flaschen illegal produzierten Alkohols verschärfen das Problem für die Gesellschaft zusätzlich. Neu ist es indes nicht. Schon im Zarenreich war Wodka, das übersetzt verniedlichend Wässerchen bedeutet, beliebt. Etwa die Hälfte der Staatseinnahmen wurde aus der Alkoholsteuer bestritten. Als Lenins Revolutionäre den Winterpalast im Zuge der Oktoberrevolution stürmten, wurden auch die Alkoholvorräte des Zaren geplündert. Lenin selbst verbot den Alkoholkonsum in der Sowjetunion. Das herrschende Proletariat müsse sich nicht berauschen, stellte er fest. Nicht sein einziger Irrtum: 1925 wurde die rote Prohibition beendet.
Der Suff entwickelte sich auch zu einem wirtschaftlichen Bremsklotz der UdSSR. Rund ein Drittel der Ernte etwa verrottete auf den Feldern, weil die Kolchosarbeiter betrunken waren. Noch vor zwei Jahren stöhnte ein russischer Milliardär, 80 Prozent der Landbevölkerung seien für regelmäßige Arbeit unbrauchbar, weil sie dem Alkohol verfallen seien, und sprach von der „Tragödie unserer Wirtschaft“. Gegen staatliche Kampagnen, den Bürger „trockenzulegen“, erwiesen sich die Russen schon immer resistent.
Schon der Reformer Michail Gorbatschow hatte das Ende der Achtzigerjahre versucht – und musste sich als „Genosse Mineralsekretär“ verspotten lassen. Sein im Westen unerschütterliches Charisma fanden die Russen suspekt und fanden sich durch dessen trinkfesten Nachfolger Boris Jelzin besser repräsentiert. Und so empfahl die Zeitung „Wedomosti“ denn auch, den Kampf gegen die Geißel Alkohol einfach aufzugeben. „Vielleicht sollte man sich eingestehen, dass es weniger Todesfälle gäbe, wenn das Volk billigen, aber qualitativ hochwertigen Wodka trinken würde“, schrieb das Blatt und forderte: „Man müsste die Alkoholsteuer senken, damit sich jeder Mann auch im entlegensten Dorf einen halben Liter Wodka für 100 Rubel ( 1,50 Euro) kaufen kann.“
Von RND/Alexander Dahl