Was tun mit Erbstücken? Die schwierige Frage nach dem Wert

Wirklich chic – aber nicht immer wertvoll: Erbstücke.

Wirklich chic – aber nicht immer wertvoll: Erbstücke.

Das Ideal sieht möglicherweise so aus: Vor dem Tod der, sagen wir mal, Patentante versammelt sie ihre Nichten und Neffen um sich und bespricht, wer denn was erben möchte. Die eine würde sich über das gute Teeservice freuen, die andere über den zierlichen Sekretär und der dritte möglicherweise über das kleine Aquarell, das in der Essecke hängt. Jeder wählt etwas aus, woran das Herz besonders hängt, womit besonders schöne Erinnerungen verbunden sind und das sich in der eigenen Wohnung gut macht.

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Doch die Realität fällt meist anders aus: In der Familie gibt es einen Todesfall, und je nachdem, wie eng man dem Verstorbenen stand, wird man mit mehreren Erbstücken bedacht oder erbt möglicherweise ein komplett möbliertes Einfamilienhaus. Es gibt zahllose Geschichten über Angehörige, die sich über Erbschaftsangelegenheiten zerstreiten.

Aber selbst, wenn alle sich friedlich einigen, bleibt – neben der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen – oft die ganz praktische Frage: Wohin mit den ganzen Sachen? Zumal die eigene Wohnung in dem Alter, wenn Eltern, Tanten und Onkel gewöhnlich sterben, meist komplett eingerichtet ist – und zwar so, wie es dem eigenen Geschmack entspricht, der nicht zwangsläufig mit dem der Verstorbenen übereinstimmt. Auf die Schrankwand der Großtante, eher Gelsenkirchener Barock als stilvolles Einzelstück, hat man nicht unbedingt gewartet. Ebenso wenig auf die Wanduhr, die dem Stiefvater lieb und teuer war.

Den Nachlass zu Geld machen

Nun, zum Verkauf anbieten geht immer. „Alter Holztisch (Erbstück!)“, „Bücherschrank – es handelt sich um ein Erbstück von meinen Eltern“ oder „Babywiege! Handarbeit! Erbstück!“: Wer sich durch Onlinemarktplätze wie Ebay klickt, gewinnt den Eindruck, dass viele Erben ihre mehr oder weniger guten Stücke verkaufen wollen. Große Bestände aus deutschen Erbmassen landen auch in Sozialkaufhäusern. Nicht wenige Erben träumen allerdings davon, den Nachlass zu Geld zu machen. In den mittlerweile mehr als 1000 Folgen der Fernsehsendung „Bares für Rares" sieht man so einige, die hoffen, dass Uromas Granatschmuck oder die Bodenvase der Schwiegermutter sich als wertvoll erweisen könnten.

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Doch was heißt schon wertvoll? Gerade bei Erbstücken gehe es vor allem um den „gefühlten Wert“, sagt Johann Haidn, Vizepräsident des Bundes Deutscher Innenarchitekten (BDIA), um die persönlichen Geschichten, die wir damit verbinden. Das kann der abgeschabte Zweisitzer sein, auf dem man bei jedem Elternbesuch mit der Mutter gesessen hat. Manchmal bedeute einem zum Beispiel auch ein alter Hocker besonders viel, sagt Haidn. Und solch ein Hocker, so der Münchner Innenarchitekt, könne sich hervorragend in einer modernen Küche machen: „Das kann durchaus ein schöner Kontrast sein.“

Eigenes und Geerbtes kombinieren

Laut Haidn lebt ein Erbstück davon, „dass es genutzt wird, dass sich jeder daran freut“. Es wie ein Museumsstück zu behandeln, ist nicht Sinn der Sache – „es soll ja kein Staubfänger sein“. Doch der erfahrene Innenarchitekt weiß auch, dass es manchmal durchaus eine Herausforderung sein kann, Eigenes und Geerbtes zu kombinieren. Ein hoher Eichenschrank mit prächtigen Schnitzereien sei in einer Neubauwohnung mit gerade mal 2,50 Meter Deckenhöhe nicht unbedingt gut aufgehoben, weil die Proportionen von Raum und Objekt einfach nicht zueinander passten.

Man muss ja nicht unbedingt vier gleiche Stühle um den Esstisch stellen. Es können ruhig auch mal vier verschiedene sein.

Haidn empfiehlt, die eigene Wohnung nicht mit Ererbtem zu überfrachten. Man solle deren Charakter nicht komplett verändern, sondern allenfalls mit schönen und erinnerungsträchtigen Einzelstücken Akzente setzen: „Es kann nicht darum gehen, Erbstücke wie mit der Gießkanne in der Wohnung zu verteilen.“ Dieses Akzentsetzen hilft zudem, eine Wohnung individuell zu gestalten. Der Innenarchitekt ermuntert dazu, beim Einrichten mit Erbstücken Brüche zu wagen, Stile zu mixen: „Man muss ja nicht unbedingt vier gleiche Stühle um den Esstisch stellen. Es können ruhig auch mal vier verschiedene sein.“

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Dieser Mut zum Mix passt zum Vintagetrend: Nicht Fabrikneues und Makelloses ist seit einiger Zeit gefragt, sondern Stücke und auch Kleidung mit ein paar Gebrauchsspuren, also mit Geschichte. Und in nahezu allen Erbstücken stecken ja solche Erinnerungen, manchmal sogar mehr, als einem lieb ist oder als man vermutet hätte.

Nicht jeder mag Minimalismus à la Marie Kondo

Die „Zeit"-Journalistin und Autorin Susanne Mayer beschreibt in ihrem Buch „Die Dinge unseres Lebens. Und was sie über uns erzählen", das im Berlin Verlag erschienen ist, wie sie das Haus ihrer verstorbenen Eltern ausräumt. Die Eltern hatten, nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und im Rausch der Wirtschaftswunderjahre, unendlich viel angehäuft – Möbel, Geschirr, Gläser, Kleidung, Schmuck. Weggeworfen wurde über die Jahre wenig, man konnte es ja vielleicht noch für schlechte Zeiten gebrauchen. In den Schränken findet sich alles doppelt, dreifach, zehnfach. „Es gab einen solchen Exzess von Tischdecken, er ließ mich sprachlos dastehen“, schreibt Mayer an einer Stelle.

Mit dem Minimalismus der japanischen Aufräumkönigin Marie Kondo, die seit einer Weile öffentlichkeitswirksam für ein beherztes Wegwerfen von überflüssigen Dingen plädiert, hatte diese Generation wenig im Sinn.

Innenarchitekt Haidn rät, dass man sich nur mit Erbstücken umgeben sollte, die einem tatsächlich gefallen – und auch guttun. Die teure Kommode dieser einen Tante, mit der man wenig angenehme Erinnerungen verbindet, muss man sich nicht unbedingt in die Wohnung stellen. Allen, die nicht wissen, wie sie mit den Erbstücken umgehen können, empfiehlt er das Buch „Glück und Architektur" von Alain de Botton. Der Schweizer Philosoph stellt darin auch die Frage, welches Haus und welche Einrichtung zu einem passen könnten.

Und Haidn hat noch einen ganz praktischen Tipp: Man könne dekorative Erbstücke in einem kleinem Depot auf dem Dachboden oder im Keller achtsam aufbewahren und sie ab und an gegen andere in der Wohnung austauschen, um umzudekorieren. Das setzt allerdings voraus, dass im Keller und auf dem Dachboden genug Platz ist.

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