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Ornithologe im Interview

Wie beeinflusst der Klimawandel den Vogelzug, Herr Fiedler?

Kraniche (Grus grus) fliegen am Himmel vor dem aufgehenden Mond. Die Zugvögel sammeln sich derzeit für ihre Reise in die Überwinterungsgebiete im Süden von Europa.

Kraniche fliegen am Himmel vor dem aufgehenden Mond. Die Zugvögel verweilen inzwischen zunehmend länger im Norden, ehe sie in ihre Überwinterungsgebiete im Süden aufbrechen.

Herr Fiedler, welche Zugvögel ziehen gerade am Himmel über unsere Köpfe hinweg?

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Das sind überwiegend die Arten, die ihren Zug davon abhängig machen, wie der Winter überhaupt wird. Also die Vögel halten so lange an nördlichen Standorten aus, bis sie merken, es geht nicht mehr. Dazu gehören zum Beispiel Wasservögel wie Gänse, deren Gewässer im Norden nun zugefroren sind und die deshalb nach Süden, oft Südwesten ausweichen müssen. Sehr auffällig in vielen Teilen Deutschlands ist zurzeit auch der Kranich. Die Tiere versuchen, zunehmend länger in Mecklenburg-Vorpommern oder in Südschweden zu bleiben, und wandern erst jetzt.

Woher wissen Zugvögel eigentlich, wann es Zeit ist zu wandern?

Das können wir nicht genau sagen. Also es spielen auf jeden Fall die Gene eine Rolle. Der Pirol und die Nachtigall brechen zum Beispiel schon im September auf, zu Zeiten, in denen es in ihren Brutgebieten eigentlich noch genug Nahrung gibt. Dieses Zugverhalten kann eigentlich nur durch eine innere Uhr getriggert werden. Und diese Uhr wird massiv von den Genen beeinflusst und immer ein bisschen nachgestellt nach der Tag- und Nachtlänge.

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Wolfgang Fiedler ist Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Mitglied des Komitees der Internationalen Ornithologen-Konferenz. Er erforscht Vogelwanderungen und die mit dem Zugverhalten verbundenen Konsequenzen – sowohl für die Vögel als auch für deren Umwelt.

Wolfgang Fiedler ist Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft und Mitglied des Komitees der Internationalen Ornithologen-Konferenz. Er erforscht Vogelwanderungen und die mit dem Zugverhalten verbundenen Konsequenzen – sowohl für die Vögel als auch für deren Umwelt.

Die Vögel haben es also im Gefühl, könnte man sagen.

So könnte man es sagen. Es gibt aber auch Vögel, die richten sich nach dem Wetter. Bei mehr und mehr Zugvögeln sehen wir inzwischen zudem, dass sie sich am Zugverhalten anderer Artgenossen orientieren. Sie kopieren also das Verhalten von vermeintlich erfahreneren Artgenossen.

Gab es schon immer Vögel, die gewandert sind, oder ist das eher ein „neueres“ Phänomen?

Das ist uralt. Schon bei Vogelfossilien, die gefunden wurden, gab es Hinweise darauf, dass diese Tiere oft Wanderungen durchgeführt haben – wahrscheinlich sogar saisonale. Das Wanderungsverhalten, das wir jetzt sehen, ist dagegen in der Folge des Abschmelzens der letzten Eiszeit entstanden, also der letzten 10.000 Jahre.

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Und warum wandern Vögel?

Die Nahrungssuche spielt sicherlich eine Rolle, wenn nicht sogar die Hauptrolle. Im Winter finden die Vögel hierzulande nicht mehr genug Nahrung, weshalb sie in wärmere, südlichere Gebiete ziehen. Außerdem: Hierzubleiben und von einem kalten Winter überrascht zu werden ist für sie der wesentlich größere Energieaufwand, als zum Beispiel in den Senegal zu ziehen. Es ist für die Tiere gar nicht so aufwendig, immer dort hinzugehen, wo die Bedingungen gerade optimal sind.

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Aber nun ist doch sicherlich der Klimawandel als Erschwernis hinzugekommen. Inwiefern wirkt er sich auf die Vogelwanderungen aus?

Der Klimawandel nimmt tatsächlich Einfluss auf die Vogelwanderungen. Der generelle Trend geht hin zu weniger Wanderungen. Wir sehen, dass viele Tiere ihre Wege verkürzen und näher am Brutgebiet gelegene Winterquartiere aufsuchen. Also Arten, die früher regelmäßig über die Sahara geflogen sind, bleiben jetzt im Mittelmeerraum. Beziehungsweise Arten, die früher im Mittelmeerraum zu finden waren, bleiben nun bei uns im Norden. Ein anderer Trend, den wir sehen, ist, dass die Zugvögel im Frühjahr früher in ihre Brutgebiete zurückkehren. Das war eigentlich das Erste, was überhaupt aufgefallen ist. Als noch umstritten war, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt, konnte man ihn schon am Vogelzug erkennen, weil die Tiere bis zu zwei Wochen früher zurückgekommen sind als noch 30 oder 40 Jahre zuvor.

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Ist es nicht problematisch, wenn die Vögel früher zurückkehren? Schließlich ist dann meist noch Winter, und es gibt kaum Nahrung.

Nein, denn das Frühjahr zieht auch früher ein, und die Insekten reagieren sehr schnell darauf. Also die erste Raupengeneration entwickelt sich viel früher. Und all die Arten, die Insekten als Futter für ihre Jungen brauchen, zum Beispiel viele Singvögel, müssen schauen, dass sie zur richtigen Zeit wieder da sind und ihre Jungen im Nest haben, ehe die Raupen schon verpuppt sind. Das heißt, die Vögel sind praktisch gezwungen, dem früher einsetzenden Frühjahr zu folgen, indem sie auch früher zurückkommen. Der Nachteil dabei ist sicherlich, dass in diesen früheren Frühjahrsphasen das Wetter noch recht unbeständig ist. Es kann also etwa noch zentimeterhohen Schnee geben. Das ist dann für viele Arten verheerend. Sie haben ihr Verhalten entsprechend angepasst und erleben dann plötzlich so einen Rückfall. Das kann die Populationen im schlimmsten Fall massiv dezimieren.

Welche Zugvögel sind denn besonders vom Klimawandel betroffen?

Am auffälligsten sind sicherlich die Zugvögel, die inzwischen in ihren Brutgebieten bleiben. Das sind zum Beispiel Mönchsgrasmücken, die in den Wintermonaten früher immer in den Mittelmeerraum gezogen sind und nun teilweise in Deutschland bleiben. Genauso der Zilpzalp und der Hausrotschwanz. An den Hausrotschwanz haben sich die Menschen inzwischen gewöhnt, aber das war vor hundert Jahren noch anders. Damals ist er im Winter immer gewandert. Und dann gibt es noch Arten wie den Weißstorch, die auch zunehmend in ihren Brutgebieten bleiben. Aber das hat wohl eher etwas damit zu tun, dass sie sich neue Nahrungsquellen erschlossen haben, meistens menschengemachte.

Einer der Zugvögel, die im Winter nun oft in ihren Brutgebieten bleiben: die Mönchsgrasmücke.

Einer der Zugvögel, die im Winter nun oft in ihren Brutgebieten bleiben: die Mönchsgrasmücke.

Der Weißstorch legt nun recht weite Strecken zurück. Sind solche Langstreckenflieger stärker vom Klimawandel betroffen als Vögel, die vergleichsweise kurze Wanderungen unternehmen?

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Das kann man so pauschal nicht sagen. Was wir aber sehen, ist, dass Kurzstreckenzieher wie der Zilpzalp oder die Mönchsgrasmücke viel flexibler und schneller auf den Klimawandel reagieren können und bereits ein Teilzugverhalten entwickelt haben. Das heißt, ein Teil der Population wandert und der andere nicht. Das ist für die Art gesehen das Sicherste: Egal, ob es ein harter oder milder Winter wird, einer der Populationsteile hat immer einen Vorteil. Während Langstreckenzieher wie die Nachtigall oder die Rauchschwalbe viel starrer in ihrem Verhalten und damit auch viel langsamer in ihrer Anpassung an den Klimawandel sind. Das passt zu der Beobachtung, dass die langstreckenziehenden Arten zurzeit diejenigen sind, die am stärksten abnehmen.

Die Natur braucht mehr Raum, in dem sie flexibel reagieren kann.

Wie wird sich das Zugverhalten der Vögel verändern, wenn sich der Klimawandel fortsetzt?

Einerseits glaube ich, dass das klassische Zugverhalten – also Richtung Überwinterungsgebiete, die weniger harte Winter haben wie der Mittelmeerraum oder Südamerika – weiter abnehmen wird. Denn hierzulande werden die Wintermonate zunehmend milder, sodass die Tiere gute Lebensbedingungen vorfinden. Aber dafür wird die Trockenheit zum Problem werden. Es ist fraglich, ob Arten, die jetzt im Mittelmeerraum überwintern, das in Zukunft auch noch machen können, oder ob es dann dort zu trocken sein wird. Und dann stellt sich wiederum die Frage: Bleiben die Tiere hier, oder ziehen sie doch weiter in tropische Gebiete? Das lässt sich schwer sagen. Manche Vogelarten haben kein Problem damit, 5000 Kilometer weiter zu fliegen, andere schaffen das von der Flügelmorphologie her gar nicht.

Was können wir als Menschen für die Zugvögel tun?

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In erster Linie den Klimawandel bremsen natürlich. Überall, wo Klimawandeleffekte auftreten, zeigt sich: Je mehr Möglichkeiten die Natur hat zu reagieren, je flexibler sie ist, desto besser. Das heißt, die Natur braucht mehr Raum, in dem sie flexibel reagieren kann, sprich größere Vorrangflächen, wo sich Dynamik entwickeln und Anpassung stattfinden kann. Wenn sich die Umwelt der Vogelarten grundlegend verändert, braucht es neue Strategien, neue Lebensräume müssen entstehen. Ein paar winzig kleine Naturschutzgebiete und ein paar Vogelhäuschen reichen da nicht aus.

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